Das Schweizer Unternehmen EWB – Elektrizitäts- und Wasserwerk der Stadt Buchs – führt viele traditionelle und neuartige Projekte durch. Dabei wird eine bereichsübergreifende Planung zu einem Kraftakt, denn eine laufende Übersicht aller Projekte ist nicht ganz einfach. Mit einer »Projektmanagement Professionalisierung und Standardisierung« wurde ein Projektmanagement-System implementiert, das alle begeistert.
Zusammen mit Gabriel N. Gassmann, Managing Director next level consulting Schweiz, werfen wir einen Blick auf das »neue Projektmanagement-Framework vom EW Buchs«.
Ausgangssituation & Herausforderung
Wie die meisten Unternehmen setzt das EWB mit seinen rund 120 Mitarbeitern bei grösseren Projekten dezidierte Projektleiter*innen ein. Je nach Themengebiet wurde bislang unterschiedliche Strukturen und Vorgehensweisen angewendet. Diese heterogene Landschaft in der Planung, Steuerung und Dokumentation sowie der eingesetzten Methoden, veranlasste den Direktor des EWB, Markus Schommer dazu, ein professionelles Projektmanagement in Auftrag zu geben. Und da war Gabriel N. Gassmann – wie er selbst erwähnt: "zur richtigen Zeit am richtigen Ort" und hat dem Unternehmen ein einheitliches Vorgehen im Projektmanagement vorgeschlagen, das innerhalb 12 Monaten – vom Dezember 2019 bis Dezember 2020 – in gemeinsam festgelegten Schritten umgesetzt wurde.
"Man kann Projektmanagement immer als einen firmenkulturellen Aufstieg betrachten."
Interview mit Gabriel N. Gassmann, Managing Director next level consulting Schweiz, über die Entwicklung und Leitung des Projekts "PM @EWB":
1) Herr Gassmann, Sie haben dem EWB in rund 12 Monaten mit einer "Projektmanagement Professionalisierung und Standardisierung" sehr erfolgreich auf den »next level« gebracht. Herzliche Gratulation! Wenn man einen Vorher-Nachher-Vergleich anstellt – was sind die grössten Benefits für das EWB?
Das EWB besass bisher im Sinn von Projektmanagement unterschiedliche Strukturen, also wenig einheitliches Vorgehen, was Projekte und Projektmanagement anging. Stand heute gibt es nach der Einführung des Projektmanagements gut geschultes Personal, klare Prozesse, eine klare Vorgehensweise und ein Handbuch als Richtlinie. Weiter gibt es Formulare und Tools, um die Projekte zu planen, zu steuern und abzuschliessen. Damit sind Wissen, Methoden und Techniken im Bereich Projektmanagement vorhanden – und nun gilt es, dies konsequent umzusetzen und zu leben.
2) Wie wurde das Projekt-Team zusammengestellt?
Wir haben das Projekt-Team bunt zusammen gemischt, von Projektmitarbeitenden über Projektleiter*innen bis zur Geschäftsführung. Zum Start von jedem Workshop gab es eine theoretische Einführung, in welcher ich erklärte, was wir machen, warum, wieso und was das für einen Nutzen, Sinn und Zweck hat. Ich habe die Teilnehmer*innen ermuntert, mir in den einzelnen Schritten zu vertrauen – weil sich zum Schluss dann alles wie Puzzleteile zusammenfügt und das grosse Ganze ein stimmiges Bild ergibt.
3) Was waren die ersten markanten „Meilensteine“ für die Teilnehmer:innen?
Ausgehend von der Eigenland®-Analyse, bei der das Steigerungspotential in Bezug auf das Projektmanagement aufgezeigt wurde, konnten wir mit den Erkenntnissen aus den Workshops gemeinsam in sechs Monaten ein Projektmanagement- Handbuch verfassen – was für alle ein grosses Aha-Erlebnis war. Mit diesen rund 80 Seiten hielten die Beteiligten zum ersten Mal das Ergebnis der gemeinsamen Projektarbeit in den Händen. Gemeinsam wurden klare Strukturen definiert, wer, was, wann und wieso macht – mit allen Inhalten, Prozessen, Rollen, etc.
4) Wo liegen die Stolpersteine auf dem Weg von der Theorie in die Praxis?
Die grösste Gefahr, wieder in alte Muster zurückzufallen, liegt darin, wenn zu viele Projekte anfallen und zu viel Druck erzeugt wird. Dann pflegt man die Dokumentation nicht mehr konsequent, dann plant und steuert man die Abläufe nicht mehr sauber … und das Chaos nimmt seinen Anfang. Die grosse Challenge für die Geschäftsleitung besteht also darin, durch Priorisierung und Auswahl der Projekte, das richtige Mass zu finden, wie viele Projekte gleichzeitig abgewickelt werden können.
5) Wie kann man in diesem wichtigen Punkt gegensteuern?
Beim EWB ist nun innerhalb vom Team »Programm- und Portfoliomanagement« eine Person als Anlaufstelle für alle Projektleiter*innen zuständig. Damit gibt es eine verantwortliche Stelle, welche sich speziell um die Einhaltung der Vorgaben sowie die Pflege und Steuerung kümmert. Die Projektleiter*innen werden beim Aufsetzen von neuen Projekten sowie im Prozess unterstützt.
6) Apropos „Hilfe“: Wie wichtig ist gegenseitige Unterstützung?
Allen Workshop-Teilnehmenden war klar, dass das Projektmanagement vor allem auch ein firmenkultureller Aspekt ist, bei dem gegenseitiges Helfen verankert werden muss. Hier hilft die zentrale Ansprechstelle aktiv mit und führt alle 14 Tage einen »PM-Circle« durch. Ein Gefäss, wo Fragen, Beispiele und Projekte durchgesprochen werden. Das ist zu Beginn noch aufwändiger, aber es hilft, dass man ins konkrete Tun und Handeln kommt und sich das neue Projektmanagement bald ganz „normal“ anfühlt.
7) Wieso braucht es eine Projektmanagement »Professionalisierung und Standardisierung«, wie Sie das dem EWB vorgeschlagen haben?
Das grosse Ganze beim Projektmanagement ist relativ klar. Aber damit es wirklich funktioniert und „zum Fliegen“ kommt, muss man es spezifisch adaptieren – auf die jeweilige Firmenkultur, auf den Umgang, auf die Projektgrössen sowie auf die Präferenzen ausrichten. Das muss also massgeschneidert werden: Was definieren wir als Projekt, welche verschiedene Projektgrössen und Projektklassen … damit man auch in der Lage ist, bereichsübergreifend effizient miteinander zu arbeiten.
8) Sie betonen die Bedeutung der „Firmenkultur“ in Bezug auf Projektmanagement. Was hat es damit auf sich?
Dieser Aspekt ist für mich besonders wichtig, weil es darum geht, dass wir – also alle Beteiligten in den Projekten innerhalb einer Firma – das Gleiche denken, wenn wir von einem Begriff sprechen. Dass wir ein gleiches Wording haben, ein gleiches Verständnis … EINE Sprache. So gesehen kann man Projektmanagement immer auch als einen „firmen-kulturellen Aufstieg“ betrachten.
9) Wie kann man diesen wichtigen Aspekt einer „Firmenkultur“ fördern?
Zum Beispiel, indem man das Thema Projektmanagement über so genannte »Circles« vernetzt. Da ergibt sich ein Gefühl, dass man hier zu Hause ist, sich in einer Community von Gleichgesinnten befindet. Da kann ich mich austauschen, da kann ich Fragen stellen und da wird mir auch geholfen.
10) Meinen Sie mit „Circles“ eine Vernetzung innerhalb der Firma oder auch nach aussen, gar zu völlig anderen Branchen?
Sowohl, als auch. Ich persönlich finde es sehr wichtig, dass Projektleiter*innen mit ihren Erfahrungen nach draussen gehen und sich mit anderen austauschen, Vorträge halten, sich in der Projekt Community vernetzen, Fachbeiträge schreiben, etc. Es ist sehr wichtig für jeden Projektmanager*in, mit zunehmender Erfahrung und Entwicklung seine Kompetenz und seinen Status nach oben zu schrauben und das darf und soll man auch zeigen.
11) Das bringt mich zum nächsten Stichwort: Was halten Sie von Zertifizierungen im Projektmanagement?
Mit einer Zertifizierung allein kann man etwas zwar nicht besser, aber es bestätigt, was und wie viel eine Person kann – und das darf bzw. soll man nach aussen auch offiziell belegen. Deshalb halte ich Zertifizierungen vor allem dann für sehr wichtig, wenn man externe Dienstleistungen anbietet – quasi als ein neutrales und extern bestätigtes Qualitäts-Zertifikat.
12) Zum Abschluss noch eine Glaubensfrage: Was ist besser – "klassisches" oder "agiles" Projektmanagement?
Idealerweise sollte man zuerst klassisches Projektmanagement lernen und umsetzen, um eine Basis und eine bessere Struktur zu erlangen. Denn viele agile Ausbildungen sind oftmals eher „Schnell-Kurse“ in zwei bis drei Tagen – da geht viel an fundamentalem Wissen verloren. Anschliessend kann man den Ansatz „best of both worlds“ verfolgen und jeweils gemäss dem Kontext auf die Projekte der Firma anwenden. Denn nicht jedes Projekt ist dafür geeignet, dass es agil gemacht wird. Und umgekehrt können bei vielen klassischen Projekten einige agile Elemente wie Retrospektiven, Daily Scrum etc. einen wesentlichen Nutzen stiften.
13) Kommt beim EWB agiles Projektmanagement zum Einsatz?
Beim EWB ist vieles klassisch aufgebaut und dies soll jetzt in einem ersten Schritt etabliert werden. Später könnten wir noch agile Elemente einbauen – unter anderem bei der Entwicklung von neuen Produkten.
14) Eine letzte Frage noch: Was war Ihr persönliches Aha-Erlebnis bei diesem Projekt?
Das war – wenn Sie so wollen – das „Aha-Erlebnis“ der ganzen Projektgruppe, die doch erstaunt war, was wir gemeinsam alles zusammen innerhalb dieser kurzen Zeit mit relativ wenig Aufwand – und trotz Corona! – erreicht und aufgebaut haben. Eben wie gesagt: gutes Projektmanagement!