„Neues Arbeiten“ in Zusammenhang mit einer entsprechenden Unternehmenskultur trägt dazu bei, dass Organisationen erfolgreicher, Teams innovativer und MitarbeiterInnen motivierter bei der Arbeit sind. Wie das gehen kann, lesen Sie in dieser Serie. Teil 1 handelt von der angstfreien Organisation.
Von Katharina Heger
In unserer Serie zum Thema „Neues Arbeiten“ geht es um folgende Themen und wie sie sich auf die Unternehmenskultur auswirken:
- Angstfreie Organisation schafft psychologische Sicherheit
- Psychologische Sicherheit erhöht die Produktivität
- Achtsames Zuhören (oder „deep listening“ nach Otto Scharmer) markiert jene höchste Ebene des Zuhörens, wo man das Potential des Gegenübers sucht und erkennt, um „das Neue“ wahrzunehmen.
- FeedForward (statt Feedback) beschreibt eine neue Art des Zusammenarbeitens, wo man weniger zurückblickt und wertet, was passiert ist (Feedback), sondern mit gewünschten Zukunftsbildern arbeitet.
Säule 1 für Neues Arbeiten: Angstfreie Organisation schafft psychologische Sicherheit
Die neuropsychologische Forschung zeigt, dass Menschen in einer Angstsituation ihr Wissen und Können nicht so gut abrufen können wie unter psychologischer Sicherheit. Für die Art der Arbeit, die wir heutzutage vorwiegend erledigen – nämlich kognitive Arbeit – ist Angst ein tödliches Gift für Organisationen. Sie behindert kontinuierliches Lernen, Innovationen und wertschätzende Zusammenarbeit auf Augenhöhe.
Psychologische Sicherheit ist also Voraussetzung für den Erfolg von Teams. Und wenn man sich eine Organisation als ein Konglomerat von Teams vorstellt, ist sie eine Voraussetzung für erfolgreiche Unternehmen. Sie fördert Innovation und regt zu unkonventionellem Denken an. Sie schafft ein motivierendes und inspirierendes Arbeitsumfeld und bietet – nicht nur den Nachwuchsführungskräften – die Bedingungen für kontinuierliches Lernen, Wachsen und ständige Entwicklung. Kurzum: Psychologische Sicherheit ist ein Wettbewerbsvorteil und wird in der heutigen Wirtschaftswelt immer wichtiger!
Den theoretischen Unterbau für dieses Phänomen lieferte die Harvard-Professorin Amy Edmondson, die durch ihre Krankenhaus-Studie („Psychological Safety and Learning Behavior in Work Teams”, 1999) bekannt wurde. Darin stellte sie – zu ihrer großen Überraschung – fest, dass die besten Teams mehr Fehler machten als die schlechteren Teams! Wie kann das sein?
Bessere Teams machen mehr Fehler
Die besten Teams waren gekennzeichnet durch eine Offenheit und hohe Bereitschaft, über Fehler zu reden und diese auch zu berichten. In Wirklichkeit machten diese Teams nicht mehr Fehler, sondern weniger als schlechter performende Teams, die ihre Fehler aber nicht so offen zur Schau stellten. Damit war der Startpunkt ihrer Forschung über psychologische Sicherheit gelegt.
Wie Führungskräfte Rahmenbedingungen für psychologische Sicherheit schaffen können, beschreibt die Autorin nach vielen Jahren Forschungsarbeit in ihrem Buch „The fearless organisation“ (Die angstfreie Organisation, 2018) so:
„Psychologische Sicherheit schafft jene vertrauensvolle Atmosphäre, in der alle Teammitglieder sich offen äußern können, ohne beschämt zu werden, abgewiesen zu werden, oder sonst wie negativ sanktioniert zu werden.“
Amy Edmondson
Räume für den „Ungehorsam“ öffnen
Im Umfeld einer angstfreien Organisation kann man die Mitarbeiter dahingehend motivieren, dass sie kritisch denken und ihre Meinungen äußern; anstatt zustimmend und höflich mit dem Kopf zu nicken – denn das ist kein konstruktiver Beitrag. Kritisches Denken muss Raum bekommen und auch belohnt werden! Es braucht eine Bereitschaft zum Diskutieren und produktiven Kontern.
Zugegeben, das entspricht nicht ganz unserer Sozialisation. Das ist eine Kulturfrage und hat mit Erziehung zu tun: Dass Kinder von klein auf ermutigt werden, ihre unterschiedlichen Sichtpunkte darzulegen und zu verteidigen – und dadurch eine kritische Denk- und Konversationsweise lernen und üben. In unseren Breitengraden war und ist es vielerorts oft umgekehrt. Da wurde und wird kritisches Hinterfragen als Affront, als Unhöflichkeit gesehen und missbilligt.
Doch diese Verhaltensmuster kann man zum Besseren hin ändern – und zwar jederzeit, das geht von heute auf morgen! Dazu braucht es den Willen und das entsprechende Klima – egal ob in einer Familie, im Kindergarten, in der Schule, unter Freunden oder in einer Organisation.
Angstfreies Klima schaffen
So kann es gelingen, eine angstfreie Organisation aufzubauen: Allfällige Probleme und Unsicherheiten in den Unternehmen offen ansprechen und sichtbar machen, immer wieder reflektieren sowie einen öffentlichen und geschützten Diskurs entwickeln. Insbesondere in Teams oder Gruppen soll man darüber reden, wie es im Unternehmen gelingen kann, die psychologische Sicherheit zu leben?
Es geht auch nicht darum, dieses Vorhaben möglichst schnell und umfassend umzusetzen – aber allein die Beschäftigung mit diesem Thema, der gemeinsame Wunsch und das Ziel erhöhen die Sensibilität in diese Richtung. Fehler und Schwächen offen eingestehen zu können, ist der größte Schritt in Richtung neues, besseres (Zusammen-)Arbeiten!
Es geht darum, Menschen Vertrauen zu schenken, was dazu führt, dass sie Verantwortung übernehmen und den Wert ihrer Tätigkeit erkennen. Es muss aber auch klar sein, dass jemand, der Verantwortung übernimmt, auch Fehler macht und dass Ziele nicht immer zu 100 Prozent erreicht werden.
Schwächen zeigen
In diesem Zusammenhang geht es darum, dass man sich fehlbar und verletzlich zeigen darf bzw. soll. Insbesondere auch die Führungskräfte. Denn genau das öffnet die Räume in Richtung psychologische Sicherheit. Das kann man übrigens sehr gut im Familienverband üben: Vor den Kindern Schwächen zeigen und zugeben, dass man etwas besser machen hätte können. Dann werden die Kinder verstehen und lernen, ihre Fehlschläge und Probleme den Eltern gegenüber offen anzusprechen. Sie werden Vertrauen aufbauen und erkennen, dass ihre Fehler „normal“ sind. Und in einem Unternehmen ist es nicht anders.
So wie die Kinder sich daheim sicher fühlen sollen und keine Angst vor Strafen haben müssen, wenn sie Fehler machen, so sollen sich MitarbeiterInnen in Unternehmen sicher fühlen, ein Projekt zu versuchen. Und wenn es nicht klappt, hat das keine negativen Konsequenzen. Aber sobald Angst vorm Versagen und Angst es Anzusprechen im Spiel ist, kann das vorhandene Potential nie richtig abgerufen werden.
Im zweiten Teil unserer Serie „Neues Arbeiten“ geht es darum, wie psychologische Sicherheit zu einer besseren Leistung in Teams und in Organisationen beiträgt.